Antwort von DIE ZEIT
Sehr geehrte Frau Dr. Geiger, sehr geehrter Herr Huttenlocher,
entschuldigen Sie die späte Antwort auf Ihre Mail. Ich gehe gerne, der Reihe nach, auf ihre genannten Punkte ein.
* Sie schreiben „…bei dem die symbolisch- nichtssagende Abbildung über dem Text bezeichnenderweise mehr Platz in Anspruch nimmt als der ganze Artikel“.
Was ist daran schlecht? Wir berichten in der ZEIT immer wieder über die Homöopathie, man kann sogar sagen, wir berichten über kein alternativmedizinisches Thema so häufig wie über die Homöopathie. Und es gibt viele Menschen, die uns genau das vorwerfen – dass wir viel zu häufig die Homöopathie zum Thema haben. Wir müssen also nicht immer über mehrere Seiten über die Homöopathie schreiben.
Zudem denke ich, dass Sie ganz froh sein können, dass ich in meinem Artikel nicht ausführlicher auf all die Unplausibilitäten eingegangen bin, die die Homöopathie auszeichnen.
Das Rolle des Wassers etwa: Das muss sich nicht nur die Wirkung des Ausgangswirkstoffs gemerkt haben, der irgendwann einmal darin enthalten war, es muss auch die Gedanken des Homöopathen lesen können. Wie sonst ist es zu erklären, dass nur die guten, wünschenswerten Eigenschaften des Wirkstoffs potenziert werden? Woher weiß das Schwermetall Thallium etwa, dass es bei dem einen Patienten gegen Haarausfall wirken soll und bei dem anderen gegen Osteoporose? Und warum wird ausschließlich der Wirkstoff potenziert – und nicht die Substanzen, die sich immer auch in der Lösung befinden? Verunreinigungen beispielsweise mit Salzen, die man nie vermeiden kann. Oder Keime, die in der Luft schwirren und ins Wasser gelangen.
Oder die Merkwürdigkeiten bei dem Versuch, der bis heute das Fundament der Homöopathie blldet, der Chinarinde-Versuch von Samuel Hahnemann. Sie wissen ja: Nachdem Hahnemann die Chinarinde eingenommen hatte, entwickelten sich bei ihm fieberhafte Symptome. Seine Folgerung: Die Wirkung der Chinarinde gegen die Malaria mussten darauf beruhen, dass sie am Gesunden ähnliche Erscheinungen hervorruft wie die Malaria am Kranken. Das führte dann zum Grundprinzip der Homöopathie: „“Similia similibus curentur“ – Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden. Hahnemann war aber leider einem Irrtum aufgesessen: Chinin, der Hauptwirkstoff der Rinde, bewirkt normalerweise das genaue Gegenteil der von ihm beschriebenen Symptome – es senkt das Fieber. Bei Hahnemann hatte die Chinarinde also eine außergewöhnliche und seltene Reaktion zur Folge…
Sie sehen also: Für die Homöopathie ist eigentlich besser, wenn nicht allzu ausführlich über sie berichtet wird.
* Sie schreiben, der Autor, „der übrigens selbst Mediziner ist und, bevor er Journalist wurde, als Arzt gearbeitet hat, was er dem Leser jedoch verschweigt“.
„Verschweigen“ impliziert, dass ich das mit Absicht tue, weil es sonst negative Konsequenzen hätte. Da muss ich mich wirklich fragen, ob Sie das ernst meinen. Sollen wir Journalisten jetzt wirklich jedes Mal dazu schreiben, was wir studiert haben (was man in meinem Fall ja anscheinend recht leicht herausbekommen kann, wie Sie bewiesen haben)? Sollen wir vielleicht auch angeben, welche Leistungskurse wir in der Schule belegt haben (ich bekenne mich schuldig: Ich hatte Chemie-Leistungskurs)? Was noch? Und vor allem: warum? Was tut das zur Sache? Hätte die Angabe meines Medizinstudiums etwas für die Leser geändert, hätten sie den Text dann anders eingeschätzt? Nach dem Motto „ein Arzt geht naturgemäß unfreundlich mit der Homöopathie um“? Aber Sie sind doch auch Ärztin, Frau Geiger, was sagt das dann über Sie aus?
* Sie schreiben, der Artikel weise „…ein einziges Argument auf, das flankiert wird von einer Reihe kruder, unbelegter Thesen und unwahrer Behauptungen.“
Ich habe tatsächlich ein Hauptargument: dass bislang kein Beleg dafür gefunden wurde, dass die Homöopathie eine Wirkung hat, die über den Placeboeffekt hinaus geht.
Wenn Sie sich mit seriöser Wissenschaft und einer Medizin befassen, die im Sinne der Patienten handelt, dann sollte Ihnen dieses Kriterium zumindest bekannt vorkommen – eigentlich aber sollte es Ihr Handeln als Arzt leiten. Denn ein Therapieverfahren sollte sich immer gegen ein Placebo beweisen, es sollte immer eine Wirkung haben, die über den Placeboeffekt hinaus geht.
Sie werden sicher sagen, dass auch viele herkömmliche Medikamente und Therapieverfahren das nicht haben. Und da haben Sie recht. Wir schreiben und benennen das in der ZEIT dann aber auch – genauso wie wir es bei der Homöopathie benennen. Denn tatsächlich ist es das entscheidende Kriterium, das an alle Therapieverfahren angelegt werden muss – nicht nur an die Homöopathie. Es ist das allesentscheidende Kriterium.
Deswegen denke ich, dass es absolut ausreichend ist, dieses Kriterium als einziges Argument aufzuführen. Wenn ein Therapieverfahren schon daran scheitert, wie es die Homöopathie tut, dann muss man keine weiteren Argumente mehr heranziehen.
Allerdings weiß ich nicht, was Sie pauschal mit „unwahren Behauptungen“ meinen: Alles, was ich schreibe, ist belegt, die medizinischen Argumente etwa durch Studien. Ich kann Ihnen das Material gerne nennen!
* Sie schreiben „Er postuliert seinen eigenen Begriff von „Wissenschaft“ und suggeriert dem Leser, „Erkenntnis“ sei der allein definierende Faktor von „Wissenschaft“.“
Ich suggeriere gar nichts. Ich weiß aber nicht, welche Rolle die Erfahrung bei der Beurteilung der Homöopathie spielen soll, was es also mit „Wissenschaftlichkeit“, wie Sie schreiben, zu tun hat, wenn die Studienlage eindeutig ist und belegt, dass die Homöopathie keine Wirkung hat, die über den Placeboeffekt hinaus geht, und sie dann auf „Erfahrung“ zurückgreifen soll. Oder anders formuliert: Was nützt es, wenn tausend Menschen (um eine Beispielzahl zu nehmen) die Erfahrung gemacht haben, dass es immer anfängt zu regnen, wenn sie auf öffentlichen Plätzen tanzen? Würden Sie dann behaupten, dass diese tausend Menschen Regenmacher sind, weil sie diese Erfahrung gemacht haben? Oder würden Sie eher einer großangelegte Studie trauen, die dieser Behauptung nachgegangen ist und das Gegenteil herausgefunden hat? Ich würde für die Studie plädieren.
* Sie schreiben „Nun zu den Thesen und Behauptungen: „In den vielen Studien, die bislang zur Homöopathie gemacht wurden, hat sich kein Beleg dafür gefunden, dass sie eine Wirkung hat“.
Ich will Ihnen keine absichtliche Verzerrung vorwerfen, aber das habe ich so nicht geschrieben. Ich bin davon überzeugt, dass die Homöopathie eine Wirkung hat, absolut! Sie hat nur keine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinaus geht. Deswegen habe ich auch geschrieben: „In den vielen Studien, die bislang zur Homöopathie gemacht wurden, hat sich kein Beleg dafür gefunden, dass sie eine Wirkung hat, die über den sogenannten Placeboeffekt hinausgeht. Sie wirkt also nicht besser als Scheinmedikamente.“
Sie schreiben im Anschluss dann ja auch: „Tatsächlich gibt es hunderte, sehr differenzierte Studien, die medizinische Erkenntnis und homöopathische Erfahrung analysieren und zu dem Schluss kommen, dass bei bestimmten Krankheitsbildern und unter bestimmten Voraussetzungen homöopathische Behandlungsmethoden einer signifikanten Zahl an Patientinnen und Patienten mindestens zu einer Besserung, wenn nicht zur Genesung verhelfen. Menschen ebenso wie, übrigens, auch Tieren.“
Auch das will ich nicht bestreiten. Der Placeboeffekt führt bei der Homöopathie zu einer Besserung, die Spontanheilung oft sogar zu einer Genesung (beides übrigens nachweislich auch bei Tieren).
Viele Krankheiten, bei denen Homöopathen hohe Erfolgsraten vorweisen, haben eine Tendenz, ohne irgendein Zutun zu heilen. Ein Beispiel: Rückenschmerzen, von denen etwa 90 Prozent nach einiger Zeit wieder von alleine verschwinden. Typischerweise lässt sich ein Rückenschmerz-Patient in der ersten Zeit von seinem Hausarzt, dann von einem Orthopäden behandeln, erfährt keine wesentliche Besserung und geht dann zum Homöopathen. Dessen Chance ist groß, einen zufriedenen Patienten mehr zu bekommen – denn dann tritt die Spontanheilung ein. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu drei Viertel aller Krankheiten von selbst vorübergehen. Sie kennen sicher den Spruch von vielen „Schulmedizinern“: Auch die Homöopathie kann Spontanheilungen nicht aufhalten.
Und wie Sie sicher auch wissen, verlaufen viele chronische Krankheiten wellenförmig, etwa Rheuma oder Multiple Sklerose. Und da viele Patienten Ärzte oder Homöopathen dann aufsuchen, wenn es ihnen gerade schlecht geht, also im Wellental, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sich nach dem Besuch des Therapeuten besser fühlen, wenn die Welle ihre Spitze erreicht – auch wenn das mit der Behandlung nichts zu tun hat. Der Erfolg aber wird dem Therapeuten zugeschrieben…
* Sie schreiben, es grenze „an Verleumdung eines ganzen Berufsstandes, wenn Jan Schweitzer behauptet, Homöopathie würde „Therapien verhindern, die tatsächlich einen Nutzen haben“.“
Das ist keine Behauptung, sondern eine Tatsache, mehr dazu finden Sie hier: https://jamanetwork.com/journals/jamaoncology/fullarticle/2687972) oder auch hier: https://easac.eu/fileadmin/PDF_s/reports_statements/EASAC_Homepathy_statement_web_final.pdf.
Von Verleumdung zu sprechen, ist also wirklich fehl am Platze.
* Sie schreiben „Und nicht minder infam ist seine Unterstellung, die Homöopathie stelle sich gegen Impfungen.“
Und wieder möchte ich Ihnen keine absichtliche Verzerrung vorwerfen, frage mich aber, ob Sie den Text tatsächlich aufmerksam gelesen habe. Ich schreibe folgendes (und zitiere hier ausführlich und nicht nur auszugsweise):
„Menschen verlassen sich auf der einen Seite ganz selbstverständlich auf die Errungenschaften der Naturwissenschaften: Sie nutzen den Strom, der aus der Steckdose kommt, und das Wasser aus dem Hahn; sie nehmen ein Antibiotikum, wenn sie eine Lungenentzündung haben; sie verlassen sich auf die statischen Berechnungen von Architekten und Ingenieuren, wenn sie ein Gebäude betreten oder über eine Brücke fahren; es ist für sie ganz klar, dass sie bestimmte Eigenschaften an ihre Kinder vererben.
Auf der anderen Seite aber wollen sie nichts von wissenschaftlicher Evidenz wissen: Sie verteufeln die Impfung und damit eine der größten medizinischen Errungenschaften überhaupt; sie haben Angst vor Elektrosmog und Handystrahlung; sie richten ihre Wohnung nach Feng-Shui-Kriterien ein; sie studieren Horoskope, richten ihr Leben danach aus. Und sie feiern die Homöopathie als eine sanfte, ganzheitliche Heilmethode.“
Ich kann da nirgendwo die Unterstellung finden, die Homöopathie stelle sich gegen Impfungen. Ich lese zum Beispiel auch nicht, dass Homöopathen ihre Wohnung nach Feng-Shui-Kriterien einrichten. Sie vielleicht, nachdem Sie den Text noch mal aufmerksam gelesen haben?
Ich denke auch, dass jeder Homöopath, der sich ein wenig mit dem Werk Hahnemann beschäftigt hat, Impfungen nicht ablehnen kann, denn Hahnemann erkannte ja damals die Berechtigung der Pockenimpfung an.
Abschließend möchte ich noch einen Absatz kommentieren, den Sie zu Beginn schreiben:
„Das Ganze ist weder ein Zeugnis von sorgfältig recherchiertem Journalismus, noch entspricht es den Maßstäben einer Wochenzeitung, die für sich in Anspruch nimmt, den Diskurs zu pflegen, anstatt ihn durch plakative, persönliche Meinungen totzuschlagen.“
Dazu muss ich sagen, dass ich mich seit dem Medizinstudium mit dem Thema Homöopathie beschäftige, also seit mehr als 25 Jahren. Ich habe mich seitdem mit beiden Seiten der Homöopathie auseinandergesetzt und mir auch die Argumente der Befürworter angehört. So habe ich mehrfach mit Homöopathen (und homöopathische arbeitenden Ärzten) gesprochen und mir ihre Arbeit angeschaut. Ich habe aber auch mit Forschern und Experten gesprochen (auch von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, aber auch etwa mit Klaus Linde, der damals die Studie in Lancet veröffentlicht hat), ich habe Forschungseinrichtungen besucht (etwa die Klinik für Naturheilkunde & Integrative Medizin in Essen, die Hochschulambulanz für Naturheilkunde der Charité) und mir auch bei der Deutschen Homöopathie-Union in Karlsruhe die Herstellung von Homöopathika angeschaut und erklären lassen. Dann habe ich vor zwei Jahren zusammen mit meiner Kollegin Josephine Maier ein Interview mit der damaligen Vorsitzenden des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, Cornelia Bajic, geführt, das sie so autorisiert hat, wie Sie es hier lesen können (https://www.zeit.de/2017/26/cornelia-bajic-homoeopathie-aerzte-interview).
Insofern finde ich es „infam“, mir vorzuwerfen, ich hätte nicht sorgfältig recherchiert.
Und ich möchte noch klarstellen, dass in meinem Text nicht um Meinungsäußerungen geht. Es wäre ja etwa auch nicht meine Meinung, wenn ich schreiben würde, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern eine Kugel. Oder dass Dinge runterfallen, wenn man sie hochwirft. So ist es bei der Homöopathie keine Meinung zu schreiben, sie wirke nicht über den Placeboeffekt hinaus – es ist eine Tatsache.
Es ist also genau in dem Sinne geschrieben, wie Sie Giovanni di Lorenzo zitieren, „erst einmal darstellen, was ist.“
Mit besten Grüßen,
Jan Schweitzer
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Jan Schweitzer
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