Offener Brief an Professor Harald Lesch
Prof. Harald Lesch ist wohl der bekannteste TV Professor in Deutschland. Am 18.10.2020 äußerte er sich in einem Interview bei t-online über die „Verschwörerszene“ unter anderem auch zur Homöopathie in einer derart unsachlichen und undifferenzierten Art und Weise, die Herrn Dr. Ulf Riker zu folgendem offenen Brief an Professor Harald Lesch veranlasste.
Sehr geehrter Herr Professor Lesch
In einem online-Interview haben Sie kürzlich gesagt: „In der Verschwörerszene herrscht große Verlogenheit“. Und weiter:“ Ich halte einfache Antworten in komplexen Systemen für völlig unmöglich“. Als Schutz gegen „Bullshit“ empfehlen Sie anschließend „ein starkes intellektuelles Immunsystem“ und sprechen sich für „Fehlerkorrekturen“ in der Wissenschaft aus. Einverstanden!
Leider belassen Sie es im Interview bei der knappen Analyse, z.B. hinsichtlich der erschreckenden Vernetzung von Verschwörungsverbreitern und Rechtsnationalen. Sie bieten auch keine Lösungsansätze, wie beispielsweise das „intellektuelle Immunsystem“ gestärkt werden könnte. Oder wie man den Menschen aus dem rechten Lager beikommen könnte, die „Corona-Demonstrationen für ihre Zwecke kapern“. Statt auf komplexe Probleme starke Antworten zu formulieren, gehen Sie umso leichtfüßiger auf die Homöopathie los: Sie bemühen sich nicht einmal, den Zusammenhang zwischen Rechtsnationalen oder Verschwörungsverwirrten einerseits und Homöopathie andererseits zu erklären, sie suggerieren einfach, dass es den gebe: ein ziemlich gewagter Brückenschlag, finden Sie nicht? Rechtsnationale und Verschwörungsvertreter stellen unsere freie und offene Gesellschaft in Frage, während sich homöopathische Ärzte samt ihrer zahllosen Patienten die kleine Freiheit herausnehmen, eine Therapiealternative zu wählen, wenn die Konventionelle Medizin an ihre Grenzen geraten ist oder Nebenwirkungen dieser Medizin manchmal unerträglich erscheinen. Ist das vergleichbar? Oder ist es nicht ein ziemlich einfach gestricktes Argumentieren in Anbetracht eines ziemlich komplexen Faktengefüges?
Dient es der „Wahrheit“ – vor dem Hintergrund Ihres Vorwurfes der „Verlogenheit“ – wenn Sie schlicht und undifferenziert feststellen, beide – Homöopathen und Nazis – lebten in einer Scheinwelt? Verniedlichen Sie damit nicht die Nazis in völlig unpassender und gefährlicher Weise? Warum äußern Sie sich über Ärzt*innen mit Zusatzbezeichnung Homöopathie verächtlich, indem Sie diese nicht nur in einen Topf mit Nazis werfen, sondern völlig banale Beispiele gegen Homöopathie ins Feld führen: Sie bringen „ein Herzproblem“ mit Heilpraktikern in Verbindung und differenzieren nicht zwischen Heilpraktikern als Berufsgruppe und Homöopathie als Behandlungsmethode. Sie wollen Homöopathie am Beispiel eines „blutenden Menschen unter einem Auto“ ad absurdum führen, sagen aber nicht, ob Ihnen denn ein Augenarzt ohne Zusatzbezeichnung Homöopathie lieber wäre. Oder Sie fragen, warum es „keinen homöopathischen Notfallwagen“ gebe? Wollen Sie partout nicht wahrhaben, dass homöopathische Ärzte in allererster Linie Ärzte sind, die ihr medizinisches Handwerk gelernt haben und abwägen können, wann welche Therapiemethode notwendig ist? Solche Beispiele, sehr verehrter Herr Professor Lesch, stärken nicht das „intellektuelle Immunsystem“, sie schwächen es! Mehr noch, sie sind eine intellektuelle Zumutung für Menschen, die sich gerne „Leschs Kosmos“ ansehen, sich aber von derart pauschalem Homöopathie-Bashing unterfordert fühlen!
Oder haben Sie, sehr geehrter Herr Prof. Lesch, sich vielleicht noch nie wirklich mit Homöopathie beschäftigt? Noch nie mit Patienten deren persönliche Erfahrungen geteilt? Noch nie erlebt, wie homöopathische Ärzt*innen in ihren Praxen tatsächlich arbeiten? Kein Problem: sicher finden sich Ärzte mit Zusatzbezeichnung Homöopathie und teilweise jahrzehntelanger Erfahrung, die Ihnen eine Einladung in ihre Praxis aussprechen. Sie könnten sich dann ein eigenes Bild machen: nicht durchs Teleskop vom Universum, sondern durchs Schlüsselloch von der Homöopathie. Sie könnten sogar erfahren, dass diese Ärzte nicht „Schulmedizin für Teufelszeug halten“, sondern dankbar dafür sind, dass sie zusätzlich zu einer hocheffektiven „Schulmedizin“ auch noch eine weitere Methode zur Verfügung haben, um kranken Menschen helfen zu können
Vielleicht ist es ja ein Fehler, über Dinge zu sprechen, über die man – außer dem stereotyp in den Medien Wiederholten – zu wenig weiß oder auch gar keine eigene Erfahrung hat. Auch das ist kein Problem – Sie stellen in Ihrem Interview ja selbst fest: „Fehlerkorrekturen sind unheimlich wichtig. Schritt für Schritt zur Lösung und dabei immer wieder korrigierend eingreifen – das ist Wissenschaft.“ Einverstanden! Vielleicht finden wir mit Ihnen zusammen einen Weg, der einerseits die Wissenschaft berücksichtigt und andererseits Ärzte und Patienten mit einschlägigen Erfahrungen als Partner im Diskurs achtet und ernst nimmt?
Sehr geehrter Herr Prof. Lesch, sicher haben Sie persönliche Leitlinien und Überzeugungen für Ihr wissenschaftliches Vorgehen und die souveräne Vermittlung Ihrer Erkenntnisse. Bitte halten Sie sich auch dann daran, wenn es nicht um Astrophysik, sondern „nur“ um Homöopathie geht. Von Sachkenntnis völlig ungetrübte Beiträge wie Ihre Einlassungen zur Homöopathie waren wir bis dato jedenfalls von Ihnen nicht gewohnt.
Dr. Ulf Riker
Das Interview findet sich bei t-online.de (18.10.2020)
https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_88759072/tv-professor-harald-lesch-in-der-verschwoererszene-herrscht-grosse-verlogenheit-.html
Abb.: iStock.com/Makhbubakhon Ismatova