Editorial – Covid und „Long Covid“
Die homöopathische Begleitung von Patient*innen mit einer Corona-Infektion ist grundsätzlich möglich, wenn diese unter erfahrener ärztlicher Kontrolle erfolgt und schwere, lebensbedrohliche und damit intensivpflichtige Komplikationen rechtzeitig erkannt werden. Solange keine ausreichende Immunität gegen das Virus besteht, wird es auch weiterhin leichte bis mittelschwere Krankheitsverläufe geben. Die Behandlung bleibt symptomatisch, solange keine kausale Therapie zur Verfügung steht. Das bedeutet auch: Patient*innen bleiben in der „Warteschleife“, sie warten auf Impfung oder wirksame Therapie und sind im Übrigen auf sich alleine gestellt.
Warten ohne selbst etwas zur Genesung beitragen zu können bedeutet auch Stress und Angst, und beides wirkt sich potentiell immunsuppressiv aus. Unsere Abwehr ist also geschwächt genau in dem Moment, in dem wir sie besonders brauchen. Wenn homöopathische Arzneien in dieser Situation Befunde und Befinden wesentlich bessern, dann wird es den betroffenen Patient*innen ziemlich egal sein, ob Homöopathie-Leugner diesen Effekt als Placebo deuten. Sollte man nicht eine Studie erwägen, in der die eine Gruppe von Patienten nur warten darf, die zweite ein herkömmliches Scheinmedikament erhielte und die dritte ein homöopathisches „Placebo“? Bisherige Erfahrungen deuten jedenfalls darauf hin, dass die homöopathische „Placebo-Variante“ womöglich deutlich über Placebo hinauswirkt!
Inzwischen steht die Medizin vor einer neuen Herausforderung: selbst nach leichten Corona-Verläufen entwickeln sich noch nach Wochen bis wenigen Monaten Krankheitssymptome, die als „Post-COVID-Syndrom“ zusammengefasst werden (und laut RKI im Meldesystem noch gar nicht erfasst werden). Die Palette möglicher Folge-Erkrankungen ist breit: zu „Long-Covid“ zählen Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Müdigkeit, betroffen sind aber auch Atemwege, Herz und Kreislauf, Haut, Muskulatur oder der Stoffwechsel. Viel zu tun also, um all diesen Patienten zu helfen.
Hier öffnet sich ein weiteres Feld für die Homöopathie. Dabei besteht keinerlei Gefahr durch Unterlassung einer „wirksamen“ Therapie, weil es ja gar keine gibt! Und wiederum eine gute Möglichkeit, die Verläufe ohne und mit Homöopathie miteinander zu vergleichen. Der Wissenschaft wäre ebenso gedient wie den Patient*innen, von den noch gar nicht absehbaren oder in geldwertem Schaden bezifferten sozialen und wirtschaftlichen Folgen ganz zu schweigen. Gibt es irgendeinen, – nein: keinen theoretischen! – praktischen Grund, es nicht zu versuchen mit Homöopathie? Was könnte denn passieren – sorgfältige klinische Verlaufsbeobachtung vorausgesetzt – wenn Betroffene ihr „homöopathisches Placebo“ nehmen und Schlaf, Gedächtnis, Herzrhythmusstörungen, Muskelschwäche oder hartnäckige Geruchs- und Geschmacksstörungen zeitnah und überraschend besser werden? Ist es für subjektiv und objektiv Gebesserte wirklich relevant, ob sie nun einem post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss unterlegen sind oder ob sich ein noch nicht entschlüsseltes Wirkprinzip der Homöopathie dahinter verbirgt?
Frage an alle Homöopathie-Leugner: es kann ja sein, dass Euch homöopathisches Wirken nicht in den Kopf passen will. Aber habt ihr deswegen das Recht, anderen vernunftbegabten Mitmenschen eine Heilmethode mies zu argumentieren und am Ende wegnehmen zu wollen? Nein, habt ihr nicht! Kranken Menschen etwas vorzuenthalten, ohne geeignete Alternativen anbieten zu können ist zynisch! Zynismus aber heilt keinen einzigen kranken Menschen! Auch nicht Long-Covid!
Foto: Dr. med. Ulf Riker, 2. Vorsitzender des DZVhÄ