Antwort des DZVhÄ auf Artikel von DIE Zeit
Sehr geehrter Herr Schweitzer,
sehr geehrter Herr Di Lorenzo,
da wir bislang nichts gehört haben von Ihnen, möchte ich nochmals auf die Mail hinweisen, die ich Ihnen vergangene Woche im Namen des Vorstands des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte geschickt habe (siehe unten; die Mail ging damals von meinem privaten Account aus, da ich im Ausland und ohne Zugriff auf mein Dienst-Account war):
Die Angelegenheit ist uns wirklich wichtig. Der Artikel diskreditiert in äußerst harscher, zudem unsachlich argumentierender Form einen kompletten Berufsstand und verunsichert tausende Patientinnen und Patienten massiv.
Ungeachtet der zahlreichen Leserbriefreaktionen, die auf ZEITonline zu lesen sind, halten wir es für eine Frage, wie ehrlich es DIE ZEIT mit der von Herrn di Lorenzo geäußerten Forderung eines Journalismus hält, der diskursiv und darstellend statt mit Meinungen oder gar ideologischen Sichtweisen arbeiten soll. Dieser Artikel war ausschließlich ideologisch geprägt. Ein Diskurs braucht eine zweite Stimme. Wir möchten deshalb sehr dringend um Veröffentlichung der Ihnen übersandten und hier nochmals beigelegten ‚Entgegnung‘ unserer 1. Vorsitzenden, Frau Dr. med. Michaela Geiger, bitten
Mit freundlichem Gruß,
Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte e.V.
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Falsche Voraussetzungen. Verleumderische Behauptungen. Anmerkungen zu: Jan Schweitzer, „Süße Versuchung“. DIE ZEIT, Nr.44, 23.10.2019.
Von: Dr. med. Michaela Geiger / 1. Vorsitzende DZVhÄ
Mit Verve setzt DIE ZEIT ihren Feldzug gegen homöopathische Gesundheitsversorgung in Deutschland fort. Was nicht heißt, dass die Argumente fundierter und die Beiträge insgesamt sachlicher und sachgerechter würden. Im Gegenteil: Der Artikel „Süße Versuchung“ von Jan Schweitzer (DIE ZEIT, Nr. 44/2019, 23.10.2019, Seite 33; www.zeit.de/2019/44/forschung-klimawandel-homoeopathie-wissenschaft-versuchung), bei dem die symbolisch-nichtssagende Abbildung über dem Text bezeichnenderweise mehr Platz in Anspruch nimmt als der ganze Artikel, weist exakt ein einziges Argument auf, das flankiert wird von einer Reihe kruder, unbelegter Thesen und unwahrer Behauptungen, ansonsten sich mehrfach um die eigene Achse dreht. Das Ganze ist weder ein Zeugnis von sorgfältig recherchiertem Journalismus, noch entspricht es den Maßstäben einer Wochenzeitung, die für sich in Anspruch nimmt, den Diskurs zu pflegen, anstatt ihn durch plakative, persönliche Meinungen totzuschlagen. „Ich glaube, unser Job ist nicht primär, Haltung zu zeigen und Meinung zu äußern und uns auf eine Seite zu schlagen, sondern“, so Chefredakteur von DIE ZEIT, Giovanni di der Lorenzo am 5.9.2019 in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, „erst einmal darstellen, was ist.“ Genau das jedoch: „darstellen, was ist“, macht dieser Artikel nicht. Er kann, im Sinne einer Versachlichung der Debatte nicht unwidersprochen bleiben. Selbst auf die Gefahr hin, dass man ihm und der ideologischen Keule seines Autors damit mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt, als beide verdienen. Zunächst zum einzigen Argument, das der Autor anführt, der übrigens selbst Mediziner ist und, bevor er Journalist wurde, als Arzt gearbeitet hat, was er dem Leser jedoch verschweigt: Es sei unlogisch und zeuge von „unglaublicher Inkonsequenz im Umgang mit wissenschaftlicher Erkenntnis“, wenn jemand (der Autor bezieht es aus aktuellem Anlass beispielhaft auf die Partei Bündnis 90/Die Grünen, meint es aber sehr allgemein) in der Klima-Debatte auf „wissenschaftliche Fakten“ zurückgreife, in der Diskussion um Homöopathie aber „nicht so gern auf das Urteil der Wissenschaft“ höre. Wer so argumentiert, bedient sich eines wohlfeilen, aber sehr gefährlichen Tricks: Er postuliert seinen eigenen Begriff von „Wissenschaft“ und suggeriert dem Leser, „Erkenntnis“ sei der allein definierende Faktor von „Wissenschaft“. Dem ist aber nicht so. Vielmehr besteht, über alle Fachbereiche und die große Mehrheit aller wissenschaftstheoretischen Diskurse hinweg, Einigkeit darin, dass „Wissenschaft“ die Summe an Erkenntnis und Erfahrung ist. Nur wo die Erfahrung zur Erkenntnis als zweite Kernkomponente mitberücksichtigt wird, kann von Wissenschaftlichkeit überhaupt die Rede sein.Ob Täuschung oder Unwissenheit: Der Autor Jan Schweitzer setzt seine Philippika gegen die Homöopathie auf ein Grundverständnis von „Wissenschaft“, das im Widerspruch zu dieser weltweit seit Generationen geltenden Definition und Grundlage allen wissenschaftlichen Fortschritts steht. Auf entsprechend tönernem Fuß stehen Schweitzers Schlussfolgerungen – soweit man überhaupt von solchen sprechen kann. Seine gesamte Argumentation basiert auf einer konstruierten, im Wortsinn: unwissenschaftlichen Voraussetzung. Nun zu den Thesen und Behauptungen: „In den vielen Studien, die bislang zur Homöopathie gemacht wurden, hat sich kein Beleg dafür gefunden, dass sie eine Wirkung hat“. – Diese Behauptung ist schlichtweg falsch, sofern man das oben dargelegte Verständnis von Wissenschaftlichkeit zugrunde legt. Tatsächlich gibt es hunderte, sehr differenzierte Studien, die medizinische Erkenntnis und homöopathische Erfahrung analysieren und zu dem Schluss kommen, dass bei bestimmten Krankheitsbildern und unter bestimmten Voraussetzungen homöopathische Behandlungsmethoden einer signifikanten Zahl an Patientinnen und Patienten mindestens zu einer Besserung, wenn nicht zur Genesung verhelfen. Menschen ebenso wie, übrigens, auch Tieren. Dabei gilt es freilich auch einen Aspekt zu berücksichtigen, der wesentlich ist für die moderne Homöopathie: Diese versteht sich nämlich, anders als von Jan Schweitzer in DIE ZEIT unterstellt, nicht als eine „Alternative“ im Sinne eines Entweder – Oder, gemeint ist: entweder Schulmedizin oder Homöopathie, sondern als komplementäre Behandlungsmethode. Niemals würde ein/e verantwortungsbewusste/r, homöopathisch ausgebildete/r Ärztin / Arzt einer Patientin oder einem Patienten mit schwerer Erkrankung eine rein homöopathische Behandlung empfehlen. Es grenzt an Verleumdung eines ganzen Berufsstandes, wenn Jan Schweitzer behauptet, Homöopathie würde „Therapien verhindern, die tatsächlich einen Nutzen haben“. Und nicht minder infam ist seine Unterstellung, die Homöopathie stelle sich gegen Impfungen. Wer derlei behauptet, kann nicht mit einem der mehr als 7.000 verantwortungsvoll homöopatisch arbeitenden Ärztinnen und Ärzte in Deutschland oder mit einem Patientenverband über dieses Thema gesprochen haben. Im Gegenteil belegen zahlreiche Studien und Befragungen, dass die Impfberatung von Komplementär-Ärztinnen und Ärzten einen wichtigen Beitrag gerade zur Aufklärung impfkritischer Eltern beiträgt. Moderne Homöopathie hat ihren Stellenwert bei Patienten – und Krankenkassen! –, eben weil sie die schulmedizinisch erlangten Erkenntnisse mit den über Jahrhunderte gesammelten homöopathischen Erfahrungen in äußerst reflektierter Weise kombiniert. Das ist unser Selbstverständnis als Ärztinnen und Ärzte mit Zusatzausbildung „Homöopathie“. Alles andere ist der Versuch eines Kreuzzugs gegen Schimären, die keiner sachlichen Überprüfung standhalten. Dass sich ein Medium wie DIE ZEIT für private, ideologisch geprägte Feldzüge wie den von Jan Schweitzer hergibt, ist nicht nur bedauerlich, sondern bedenklich. Der im Impressum und von vielen Redakteuren, aus gutem Grund, noch immer als Maßstab angeführte, „ehemalige Herausgeber“ Helmut Schmidt hätte dazu die passenden Worte gehabt: „Sprechen Sie, wenn Sie gedacht haben. Schreiben Sie, wenn Sie den Quatsch, den Sie gesagt haben, überdacht haben.“