Editorial -„Wissen, wundern und staunen“
Es ist schon erstaunlich, was wir alles wissen: wir haben Oberflächenbilder vom Mars und tiefe Einblicke auf den Grund unserer Meere. Wir sondieren Herzkranzgefäße und ersetzen Gelenke und Organe. Wir fabrizieren in Rekordtempo neue Impfstoffe und wissen über unsere Glückshormone Bescheid. Offenbar haben wir alles fest im Griff. Haben wir das wirklich?
Manchmal muss man sich wundern, was trotz unseres wertvollen Wissens alles schiefläuft: ein beunruhigender Waldschadensbericht, Zunahme der Antibiotikaresistenzen, Artensterben, Zunahme von Autoimmunerkrankungen und Vieles mehr. Wissen kann also nicht Alles sein, denn sonst wäre wohl alles gut?
Vielleicht fehlen uns bei allem Wissen weitere Zugänge zur Wirklichkeit? Oder fehlt es „nur“ an Forschungsgeldern? Oder an „klugen Köpfen“? Vielleicht wäre hilfreich, zwischendurch auch mal dankbar zu sein, zu sagen „es reicht“, innezuhalten und zu überlegen, was uns wirklich fehlt? Fehlt es vielleicht an unserer Fähigkeit zu staunen?
Stellen Sie sich ein kleines Kind vor, das am Boden sitzt, spielt, sich riesig freut und juchzend lacht. Ist das Kind ein Haufen Moleküle und das Lachen Folge komplexer Molekül-Rezeptor-Interaktionen? Ist das womöglich pathologisch, weil Serotonin und Dopamin plötzlich außer Rand und Band sind? Löst die Beobachtung des Kindes in uns Mit-Freude oder Glück aus oder sollten wir uns Sorgen machen, weil sich das Lachen nicht nach wissenschaftlichen Erwartungen richtet, sondern „einfach so“ daherkommt? Und ist es überhaupt wichtig, zu wissen, wie Kinderlachen entsteht? Sollten wir uns womöglich Gedanken über uns selbst machen, weil uns das Staunen abhanden gekommen ist? Müssen wir wirklich nach immer neuem Wissen suchen oder kann es manchmal auch reichen, etwas Altes in uns wieder zu finden? Das Staunen zum Beispiel?
Als homöopathisch tätige Ärzt*innen kennen auch wir den neurobiologischen Zustand der Erregung im Zustand des Staunens oder der Verwunderung. Diese Unruhe ist zugleich Motivation, das Unbekannte zu erforschen. Aber verliert das Staunen seine Bedeutung, wenn wir nicht sofort fündig werden? Wenn wir zwar sehen, dass Homöopathie wirkt, aber immer noch nicht erklären können, wie diese Wirkung zustande kommt? Oder dürfen wir uns an Sokrates orientieren und das „Nicht-Wissen“ einfach als eine Strecke auf dem Weg zur Weisheit akzeptieren?
Ja, wir sollten nicht nachlassen, unser Wissen über die Grundbedingungen der Homöopathie zu vermehren. Gleich an zwei hochkarätigen Universitäten unseres Landes werden derzeit Studien vorbereitet, die allen geforderten wissenschaftlichen Kriterien entsprechen. Bis freilich Ergebnisse vorliegen sollten wir uns auch nicht wundern, wenn uns vorerst nur das Staunen bleibt. Vielleicht hilft uns das, in einer „entzauberten Welt“ (Max Weber) in heiterer Gelassenheit zu überleben?
Letzteres wünschen wir Ihnen sehr herzlich!
Dr. med. Ulf Riker
Foto: Dr. med. Ulf Riker, 2. Vorsitzender des DZVhÄ