Gastbeitrag: „Alle in einem Boot.“ Von Andreas Holling
Vorab möchte ich für die Einladung danken, an dieser Stelle einen Beitrag zu der Diskussion zu schreiben, die uns alle derzeit wohl am meisten beschäftigt.
Ein Sturm, der sich Corona nennt … videvidevitt bum! bum! – dieser spontan abgewandelte Liedtext fällt mir gerade ein. Wir schütteln uns und schauen verwundert, was gerade überall auf der Welt Unerhörtes passiert. Was ist nur geschehen? Ist der Covid-19 Tsunamie echt oder vielleicht nur ein Scheinriese Tur Tur, aus der Kindergeschichte von Michael Ende. Niemand weiß es genau. Die Aufregungswellen schlagen hoch und verbreiten ihre Gischt-Angst. Und ein Schiff namens Homöopathie versucht, Kurs zu halten. Sind wir noch alle an Bord? Wissen wir noch wer wir sind und wo wir hin wollen? Wäre es besser, zum sicheren Hafen zurück zu segeln oder besser jetzt statt nie, Neuland zu finden? Auch im Hafen kann die Sturmwelle das Schiff zerschlagen, beherzt mit Welle und Rückenwind kommt man möglicherweise weiter als gedacht.
Dieses kleine Narrativ soll meine Gedanken zur Lage begleiten. Nachdem Mitte März ein geplanter Urlaub von einem Tag auf den anderen im Coronameer versank, beschloss ich angesichts des aufziehenden Sturmes, ein ärztlich homöopathisches Netzwerk zu gründen. EPIHOM war geboren.[1] EPIHOM besteht strukturell aus einer email Liste, einer Materialsammlung und einem allabendlichen offenen Video-Stammtisch – anfangs täglich, inzwischen Mo.-Mi.-Fr.
Vielen Dank liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist mir/uns eine Freude, in dieser Zeit kollegiale Bande zu knüpfen. Wir besprechen Erfahrungen aus der Praxis mit Covid-19 positiven Patientinnen und Patienten bzw. klinischer Verdachtsfällen[2], den Angstpatienten, Informationen zum Krankheitsbild, eigene Betroffenheiten. Die täglichen Wasserstandsmeldungen aus ganz Deutschland haben uns in der ersten Zeit gefühlter homöopathischer Nachrichtensperre persönlich gut getan. In der Not rückt man zusammen. Es zählt die konkrete Erfahrung und Besserung des Patienten. Schulen- und Methodenstreits sowie Vorurteile lösen sich auf, wenn menschliche Begegnung stattfindet. Vertrauen ist Mangelware geworden[3]. Wir Homöopathen sollten sie als unser größtes Gut pflegen – auch untereinander. Wir haben erlebt, dass so etwas mit Zoom-Meetings recht gut geht.
Unsere Schlagzahl ist hoch. In alle Richtungen – auch international – schicken wir unsere Funksprüche heraus und es erreichen uns viele Informationen von befreundeten Homöopathiegemeinschaften (HongKong, Indien, Iran, Italien, Niederlande, England und USA). Eine enge Kooperation, besonders was das Zusammentragen von Fallverläufen angeht, besteht mit dem ÄKH[4] (Christoph Abermann und seinem Team). Wir sind nicht die Einzigen, die in der aktuellen Situation – eine Chance für die Homöopathie sehen – eine ganze Flotte von Mitstreitern engagiert sich fieberhaft, wo es Not tut. Viele Meldungen von Erfolgen bei der homöopathischen Behandlung von teils auch schweren Covid-19 Verläufen bestätigen historische dokumentierte Erfolge bei Epidemien mit Homöopathie. Bei manchem von uns stieg und steigt noch immer eine Wut auf, dass außer in der Bevölkerung[5] niemand aus den medizinischen und politischen Krisenstäben die wirklich realen Potenziale der homöopathischen Behandlung ernst nehmen will. Auch das mussten wir hier und da schmerzlich direkt erleben. Das Homöopathie-Bashing der letzten Jahre hat einen Schaden hinterlassen. Wir stellen fest, dass es wichtig ist, jetzt alle Kräfte zu bündeln. Nur mit einer großen gemeinsamen Anstrengung können wir die aktuelle Situation nutzen und Neuland gewinnen.
Es macht Mut, dass sich seit zwei Wochen unter Federführung des Vorstands des DZhVÄ ein neues informelles Forum zum Austausch und Abgleich der Vorstellungen und Aktivitäten geformt hat. Eine neue Offenheit für die bunte Landschaft einer traditionell querdenkenden Homöopathenschaft wurde erkennbar. Vielfalt ist Reichtum und kann die wichtigste Ressource sein. Es ist allerdings eine Kunst, sie zu aktivieren und so einen Haufen anzuführen und konsensfähig zu machen[6].
In Deutschland haben wir als ausgebildete homöopathische Ärztinnen und Ärzte, anders als in manchen anderen Ländern, die Erlaubnis und sogar den Auftrag, akute virale Erkrankungen zu behandeln. Therapiefreiheit und die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten sind höchstes Gut. Bei aller Vorsicht, sollten wir uns alle auf die eigenen Erfahrungen in der Praxis besinnen und selbstbewusst zu dem stehen, was wir schon immer selbstverständlich gemacht haben. Der Mundschutz sollte nicht zum Maulkorb werden. Und jeder kann durch Einreichen der eigenen Fallverläufe dazu beitragen, dass die schiere Quantität der täglich guten homöopathischen Erfahrungen bei der Behandlung akuter viraler Erkrankungen (Covid-19 ist da keine Ausnahme) darstellbar wird. Diese „Feldforschung“ stellt die erste Stufe medizinischer Evidenz dar[7].
Auf dieser Grundlage müssen alle Bemühungen sich zusätzlich auf die Realisierung kontrollierter Studien konzentrieren. Alle Ideen und alle persönlichen Kontakte sollten von jedem einzelnen Mitglied ausgelotet und zentral gesammelt werden[8]. Eine eigene Task Force Covid-19 Studie möchte die im Verband schlummernden Kräfte dahingehend wecken. Auch wenn die erste Welle aktuell vielleicht abebbt, sollten wir auf weitere Wellen vorbereitet sein.
In der gesellschaftlichen Diskussion, die sich überwiegend um technokratisch-medizinische Lösungen dreht, fehlt ein wesentlicher Bereich. Warum werden nur passive bzw. kontrollierende Vermeidungsmaßnahmen wie Distancing, Hygiene, Shut down und jetzt Medikamente und Impfungen als Lösungen in den Blick genommen? Die Antwort könnte die fehlende Wertschätzung der medizinisch Verantwortlichen für Selbstheilungs- und Selbstregulationskräfte sein.[9] Gesamtgesellschaftlich braucht es eine Ergänzung durch Integrative Medizin, welche der reduktionistischen Vorgehensweise ein holistisches Gegengewicht gibt. Ärztinnen und Ärzte der Homöopathie eint das Vertrauen und Wissen um das Potential unerschlossener Lebenskräfte[10]. In dieser Zeit voller Umbrüche und Neubewertungen und angesichts fehlender Alternativen ist es verantwortungslos, eine risikolose Therapieoption ungeprüft zu verwerfen. Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit einer professionellen homöopathischen Behandlung bei Covid-19 müssen eine Chance bekommen.
Gleichzeitig dürfen wir uns untereinander bei hohem Wellengang nicht aus dem Blick verlieren. Als ärztlicher Verband sind wir mehr als eine Ansammlung von Seglern, Frachtschiffen und Schnellbooten. Wir könnten zu einer Flotte werden. Wenn wir uns klar machen, woher wir kommen, wer wir sind und wohin wir wollen, können wir Mitglieder des DZVhÄ – durch Vertrauen – getragen eine gemeinsame Vision und Bewegung werden. Das kann ein Vorstand alleine nicht leisten – jeder wird gebraucht. Lassen wir uns die Chance nicht entgehen.
Andreas Holling
Homöopathische Privatpraxis seit 1986
Arzt für Allgemeinmedizin – Homöopathie
Verheiratet, 5 Kinder lebt und arbeitet in Münster / Westfalen
Nach Ausbildungen bei J. Künzli, H. Gerd-Witte, J. Becker, G. Lang, G. Vithoulkas, J. Scholten, J. Shah und R. Sankaran wendet er inzwischen überwiegend die Empfindungsmethode an.
Andreas Holling ist Autor der HomöoQuest Lernkartei. Er entwickelte ein eigenes homöopathisches Konzept zum Periodensystem der Elemente (Dimensionen).
Mail: andreasholling@gmail.com Website: www.praxisholling.de
[1] Epidemie Netzwerk Homöopathie – eMail Liste zum kollegialen fachlichen Austausch zur homöopathischen Behandlung epidemischer Krankheiten z.Zt covid-19 Anfragen bzgl. Mitgliedschaft https://forms.gle/bj5LefXK5zsb94Zd7
[2] Fälle mit verdächtigem Symptommuster, aber PCR negativ
[3] Zwischen Glauben und Wissen stehend kommt niemand, auch nicht die unbestechlichste Wissenschaftlerin und der unbestechlichste Wissenschaftler ohne Vertrauen aus. Sich bewährende wiederholte Erfahrungen schaffen ein vertrauensvolles Umfeld. Evidence Based Medicine kann nur auf der Basis von Confidence Based Medicine funktionieren.
[4] Ärztegesellschaft für Klassische Homöopathie – Österreich https://www.aekh.at/
[5] Forsa Umfrage 2020 61% der Befragten wünschen sich die Einbeziehung der Homöopathie
[6] liebe Grüße und Dank an den Vorstand
[7] die sogenannte „preliminary evidence“
[8] email bitte an michaela.geiger@dzvhae.de
[9] Das Immunsystem des Menschen ist ein lebendiges und lernfähiges Wesen. Es hängt extrem vom Funktionieren eines guten Mikrobioms ab, es braucht die ständige Auseinandersetzung mit Mikroben und Viren als Training.
[10] Stichwort Salutogenese (A. Antonovsky) und Resilienz