Unser Kurs in der Corona-Pandemie: Selbstbewusst, entschlossen, umsichtig.

Unser Kurs in der Corona-Pandemie: Selbstbewusst, entschlossen, umsichtig.

Antworten des Vorstands auf berechtigte Fragen.

Wie waren die ersten Wochen während der Corona-Pandemie für den Vorstand des DZVhÄ? – Von der einen Seite drangen mahnende Stimmen an unsere Ohren: „Lasst uns vorsichtig sein. Wir wissen zu wenig. Trotz aller Erfahrung der Homöopathie bei Epidemien: Wir haben zu wenig Fälle, Krankheitsverläufe und valide Behandlungsergebnisse. Es ist zu früh für konkrete Empfehlungen und Aussagen.“ – Auf der anderen Seite wurde heftig protestiert und am Tor gerüttelt: „Wann, wenn nicht jetzt, soll die Homöopathie zeigen, was sie kann. Waren es nicht vor allem Epidemien, die der Homöopathie ihre großen Erfolge und berechtigte Anerkennung eingebracht haben? Was soll also die Zurückhaltung?“

Genaues Beobachten. Tägliches Hinterfragen.

Der Bundesvorstand und alle hauptamtlich Mitverantwortlichen haben es sich nicht leicht gemacht bei der Festlegung des Kurses des DZVhÄ und seiner nahezu täglichen, kritischen Reflexion und Neujustierung. Und, wie die Vorsitzende in ihrer Stellungnahme zu Beginn dieses Newsletters schreibt: Niemand im Vorstandsteam würde für sich Anspruch nehmen, alles zu wissen und stets alles auf Anhieb richtig zu entscheiden. Die Situation, mit der wir konfrontiert sind, ist neu und ist einzigartig.

Kritische Stimmen: wichtiger Spiegel.

Deshalb nimmt jede und jeder im Bundesvorstand und im Hauptstadt-Team des DZVhÄ kritische Stimmen ernst, auch wenn es wenige sind im Vergleich zu denen, die Zustimmung signalisieren und sich mit Dank für die Arbeit und guten Wünschen melden.

Denn wir wissen: Je näher man einer Sache gegenübersitzt und je länger man sich mit einem Problem befasst, desto größer ist die Gefahr, Details zu übersehen oder das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.

Ein Schreiben hat uns dabei besonders beschäftigt, weil es mehrere Aspekte gleichzeitig ansprach und kritisierte, die sonst nur vereinzelt artikuliert worden waren: „Bitte helfen Sie mir weiter!“, begann der Verfasser. „Was haben Sie im Sinn? Anpassung an den Mainstream? Die Homöopathie im Brei einer wie auch immer definierten integrativen Medizin aufgehen lassen? Den DZVhÄ in eine Gesellschaft für integrative Medizin umwandeln und so die Management-Gesellschaft retten? Ist eine Homöopathie, die effektiv auf epidemische Krankheiten reagiert überhaupt noch erwünscht?“

Zu viel Nähe zum Robert-Koch-Institut?

Und weiter: „Was bedeutet es für mich als Mitglied des DZVhÄ „den Empfehlungen des Robert Koch Instituts zu folgen?“ Über Hygiene-Maßnahmen brauchen wir hier nicht zu sprechen, aber warum solidarisieren Sie sich ausdrücklich mehrfach mit einem Institut, das die eigenen Wissenschaftsregeln ad absurdum führt?“

Auch das Interview mit dem von uns allen hoch geschätzten und für seine Verdienste um die Homöopathie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Dr. Wolfgang Springer führte beim Verfasser des Schreibens mehr zu Verärgerung als zum erhofften Verständnis: „Nach meinem Verständnis geht es bei dem Genius epidemicus nicht um eine Arznei sondern um einen Pool von Arzneien. Es macht einen Unterschied ob ich aus sagen wir 5 bis 10 Arzneien auswählen muß oder aus 200 wenn ich individualisiere. Es geht auch nicht darum ein Heilmittel zu finden ‚für eine ganze Gesellschaft‘, sondern für Erkrankte in einer Gesellschaft, die durch Viren, die ganz ähnliche Symptome hervorrufen, infiziert werden.“

Der DZVhÄ im „Dornröschenschlaf“?

Und schließlich kommt der Verfasser zu dem Fazit: „Während Homöopathen aus aller Welt wie zum Beispiel Saine, Sherr oder indische Kollegen in der Lage sind fundierte Einschätzungen samt Ratschlägen für in Frage kommende Arzneien abzugeben, dümpelt der DZVhÄ in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin.“

Wie gesagt: Wir setzen uns aufmerksam und eingehend mit jedem Schreiben auseinander, das uns erreicht.

Der Brief des Mitglieds, den wir hier passagenweise zitiert haben, gab uns indes Anlass zu einem Antwortbrief, der gleichsam stellvertretend für die an uns herangetragene Kritik gelesen und als Positionsbestimmung des Bundesvorstands des DZVhÄ zwei Monate nach Ausrufung der Corona-Pandemie in Deutschland verstanden werden kann.

Antwort im Wortlaut

Wir geben den Antwortbrief des Bundesvorstands deshalb hier im Wortlaut und in voller Länge wieder, in der Hoffnung, damit einen Beitrag zu leisten für mehr Verständnis bei jenen, die bislang ihre Zweifel an unserem Vorgehen hatten. Zugleich möchten wir aber nochmals zu bedenken geben: Wir befinden uns auf einem Weg, von dem wir annehmen müssen, dass die längere Strecke noch vor uns liegt.

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Berlin, am 21. April 2017

[Anrede]

im Namen des Vorstands des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) möchte ich auf Ihr Schreiben eingehen, das Sie per Mail am 13. April 2020 an eine Reihe gewählter Vertreter der Bundesebene sowie verschiedener Landesverbände des DZVhÄ geschickt haben.

Auch haben wir Ihr Schreiben an Herrn Dr. Wolfgang Springer weitergeleitet. Wenngleich er nicht auf der Liste Ihrer Adressaten ausgewiesen war, sollte er, wie wir meinen, von der Kritik wissen, die Sie gegen ihn persönlich vorbringen und Gelegenheit bekommen, sich selbst dazu zu äußern, so er dies möchte.

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Die Corona-Pandemie bedeutet für jeden von uns, gleichgültig in welcher Art beruflicher, gesellschaftlicher oder politischer Verantwortung, eine unbekannte Situation, unvorhersehbare Herausforderungen und oft die Notwendigkeit, kurzfristig zu entscheiden und zu handeln.

Kein verantwortungsbewusster Entscheidungsträger wird dabei für sich in Anspruch nehmen, immer alles richtig zu machen oder, rückblickend, immer alles richtig gemacht zu haben. Das gilt auch für den ehrenamtlichen Vorstand des DZVhÄ und das hauptberufliche Team unseres Verbandes in Berlin.

Es ist deshalb keine Floskel, wenn ich sage, dass uns Rückmeldungen jeder Art, und ein kritischer Austausch wichtig sind, und wir viel Zeit darauf verwenden, Anstehendes aus möglichst unterschiedlicher Perspektive zu bedenken und getroffene Entscheidungen selbstkritisch zu hinterfragen. 

Wovon wir auf dieser Grundlage nach wie vor überzeugt sind, ist die strategische Grundlinie, auf die wir uns früh verständigt haben, die wir aber möglicherweise nicht klar genug kommuniziert haben. Sie orientiert sich an vier Prämissen:

Erstens: Wir sind ein nationaler Ärzteverband mit einer spezifischen fachlichen Ausrichtung. In der gegenwärtigen Ausnahmesituation einer Pandemie, bezüglich  der auch wir nur davon ausgehen können, dass die Prognosen unserer wissenschaftlichen Kollegen korrekt sind und folglich die Gesundheit und das Leben von Millionen Menschen, auch Mitbürgerinnen und Mitbürgern unseres Landes, in Gefahr sind, erachten wir es als unsere Pflicht, unser Wissen und unsere Erfahrung unter genau dieser Prämisse und Prioritätensetzung in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen: Zuerst als Arzt/Ärztin. Dann als homöopathischer Arzt/ homöopathische Ärztin.

Zweitens: Wie alle Ärzte und Ärztinnen respektieren wir die für eine medizinische Versorgung in Krisen- und Katastrophensituationen geltenden Maßstäbe von Weisungsbefugnis und Weisungsbefolgung, da Diskussionen über die „richtige“ Behandlungsmethode im Moment des akuten medizinischen Versorgungsbedarfs zu Verzögerungen mit schwerwiegenden Folgen führen können.

Die Bundesregierung hat das Robert-Koch-Institut zum obersten medizinischen Berater und Wegweiser bei der Vorgehensweise zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ernannt.

Im Bewusstsein um das, auch von Ihnen artikulierte, kritische Verhältnis zwischen manchen homöopathischen Ärzten und dem Robert-Koch-Institut hielten wir es als Vorstand des nationalen Verbandes homöopathischer Ärzte für wichtig, gegenüber den Entscheidungsträgern in der Politik, im nationalen Krisenstab und in der Öffentlichkeit nicht nur eine Selbstverständlichkeit zu betonen (nämlich unsere Bereitschaft, medizinisch Hilfe zu leisten), sondern zugleich und ausdrücklich klar zu stellen, dass die Gemeinschaft der homöopathischen Ärzte und Ärztinnen in Deutschland für die Zeit der Zusammenarbeit in der Krise die Leitung und Weisungsbefugnis des Robert-Koch-Instituts respektieren wird. – Was zugleich und genauso selbstverständlich bedeutet, dass die uns wichtigen und mit dem Robert-Koch-Institut zu besprechenden Themen zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden.

Drittens: Wir beobachten als DZVhÄ den Verlauf der Pandemie von Tag zu Tag, analysieren die Maßgaben des nationalen Krisenstabs ebenso wie Behandlungsergebnisse sowohl konventioneller, als auch homöopathischer Therapie in Deutschland. Viele Mitglieder des DZVhÄ setzen mit der Umsicht, die für die Behandlung unbekannter Virus-Erkrankungen geboten ist, homöopathische Mittel an einzelnen Patienten ein, die dies wünschen, die keiner intensivmedizinischen Behandlung bedürfen und die in engem Kontakt behandelt und betreut werden können.

Wir vergleichen die Verläufe dieser Fälle – soweit möglich – auch mit Behandlungserfahrungen aus anderen Regionen der Welt und anderen medizinischen Methoden. Schließlich reflektieren und revidieren wir im Licht der Ergebnisse all dieser Aspekte auch die anfängliche Positionierung des DZVhÄ sowie unsere ursprünglichen Empfehlungen an unsere Mitglieder.

Viertens: Wir beteiligen uns als DZVhÄ durch regelmäßige Stellungnahmen an der medizinischen, wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte um Behandlungsformen von Covid-19 und lenken in diesem Zusammenhang so oft als möglich durch informative Akzente den Blick auf den Wunsch großer Teile der Bevölkerung nach integrativen – und hier insbesondere nach homöopathischen – Methoden (siehe die vom DZVhÄ in Auftrag gegebene „forsa-Umfrage“).

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Seit Ausrufung der Corona-Pandemie sind wenige Wochen vergangen; ein Zeitraum, der manchem von uns freilich viel länger erscheinen mag.

Die Pressemitteilung des DZVhÄ stammt aus der ersten Phase. Der von Ihnen kritisierte Fokus schuldete sich, neben der oben beschriebenen, strategischen Grundlinie, auch der Tatsache, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen aus der homöopathischen Ärzteschaft mit Aussagen zu vorgeblichen, homöopathischen Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten von Covid-19 an ihre Patientenschaft und die Öffentlichkeit gegangen waren, die, selbst unter homöopathischen Kollegen umstritten, wissenschaftlich bislang nicht belegt und medizinisch fragwürdig sind.

Die Tatsache, dass sich unter den Absendern teilweise namhafte Vertreter der ärztlichen Homöopathie befanden, hatte nicht nur in Publikums- und Fachmedien ein erhebliches, kritisches Echo gefunden, sondern auch führende gesundheitspolitische Vertreter aus Bundestag und Ministerien, sowie aus der föderalen Gesundheitspolitik auf den Plan gerufen. Die Verbandsspitze musste dies als eine unmissverständliche Warnung für einen drohenden weiteren, eklatanten Vertrauensverlust verstehen: In einer Zeit, in der wir in Form von bereits mehreren Beschlüssen zur Abschaffung der Zusatzbezeichnung das Ergebnis eines über Jahre hinweg eskalierenden Vertrauensverlusts vor Augen geführt bekommen.

Auch das hat uns zu denken gegeben und Einfluss auf die Formulierung der öffentlichen Erklärung genommen, auf die Sie sich kritisch beziehen.

In einem zweiten Schritt haben wir das Projekt „Fallsammlung und Behandlungsanalyse Covid-19“ aufgesetzt. Es ist der Versuch und die Chance für eine maximal umfangreiche Dokumentation, die freilich nur gelingen kann, wenn unsere Mitglieder sich zahlreich registrieren und sie die von Ihnen behandelten Fälle möglichst vollständig dokumentieren und einreichen. Daneben stehen wir im engen Austausch mit unseren internationalen Kolleginnen und Kollegen.

Parallel dazu erfolgte in einem dritten Schritt die Ausarbeitung, Durchführung und Auswertung der forsa-Umfrage, die Ihnen in Form einer Sonderausgabe unseres Newsletters Ärztliche Homöopathie am 17. April zuging und auf die wir weitere Schritte unserer Kommunikation und Positionierung in Medien, Politik und Öffentlichkeit aufbauen werden. 

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Zusammenfassend:

Ja, der Vorstand des DZVhÄ hat sich im Zusammenhang der Corona-Pandemie für eine umsichtige und, hinsichtlich der von der Bundesregierung ernannten medizinischen Führung durch die Krise, kooperative Vorgehensweise entschieden. Mit dem klaren Ziel des Rückgewinns an verlorenem Vertrauen als Partner in medizinischen Fragen von hoher gesellschaftlicher Bedeutung, bezogen nicht nur auf ein „Jetzt und für diese Generation“, sondern auf erheblich längere Sicht. 

Nein, der Vorstand des DZVhÄ hat die Homöopathie nicht „verraten“, sondern tut mit der gleichen Umsicht und gleich hohem Engagement alles, um überzeugende Fakten und Daten zu sammeln, die dann gegebenenfalls belegen können, was derzeit nur behauptet wird. Wir tun dies in der Überzeugung, dass die Homöopathie erheblich mehr kann, als Gesellschaften unserer Kulturkreise ihr derzeit zutrauen und dass diese Möglichkeiten auch unter allgemein anerkannten und unanfechtbaren Methoden belegt werden können. Deshalb haben wir die wissenschaftliche Arbeitsgruppe „Fallsammlung Covid-19“ einberufen. Deshalb investieren wir sehr viel Zeit und Motivation in dieses Projekt und werben intensiv um zahlreiche Unterstützung. Deshalb auch haben wir uns um unangreifbare, aktuelle Daten in Form der forsa-Umfrage zur Einschätzung homöopathischer Behandlungen von Covid-19 und zum Wunsch von deren Einbeziehung durch die Bevölkerung bemüht.

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Es ist ein umfangreiches Antwortschreiben geworden. Ich bitte um Nachsicht dafür. Es mag aber auch ein Beleg für meine einleitenden Worte sein: Ein kritischer Austausch ist uns wichtig. Wir halten uns nicht für unfehlbar. Aber wir tun unser Bestes, um die Anliegen des Verbands entschlossen und seriös zu vertreten, um so den Werten der Homöopathie langfristig wieder das Vertrauen und Ansehen zu verschaffen, das sie verdienen und bei vielen Patientinnen und Patienten genießen, bei den gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern hierzulande aber leider weithin verloren haben.

Es ist ein Spagat. Nicht nur, aber besonders, in schwieriger Zeit. Umso mehr sollte uns an einem konstruktiven, stets auch respektvollen Umgang miteinander liegen.

In diesem Sinne hoffen wir, dass Ihnen unsere Beweggründe und unsere Verbandspolitik nun verständlicher geworden sind. In jedem Fall sind wir gerne auch zu einem persönlichen Gespräch bereit.

Mit besten Grüßen,

Ihre

Dr. Michaela Geiger

Foto: iStock.com/Makhbubakhon Ismatova